Manfred Fock

Heimatkreiseln

September 2020, 21:34 Uhr

 

Geschichte: Die Absurditäten des Alltags

 

In seiner neuen Kurzgeschichtensammlung beschäftigt sich der Brucker Autor Manfred Fock wieder einmal mit den Dingen, die er um sich herum beobachtet. Es sind feine Satiren über das deutsche Spießertum

Von Florian J. Haamann

Der Text „Warnung“ erzählt von einem 92-Jährigen, der aus Protest gegen die Verkreiselung der Straßen in seiner Freizeit Kreisverkehre lahmlegt, indem er Runde um Runde in ihnen dreht – bis er eines Tages auf einen Vampir trifft.

Er ist so etwas wie der Chronist der absurden Alltäglichkeiten des Landkreises: Manfred Fock greift in seiner neuen Kurzgeschichtensammlung „Heimatkreiseln“ wieder einmal Geschichten auf, von den man Tag für Tag hört und liest: in der Zeitung, von den Nachbarn, auf dem Markt. Er greift sie auf und spielt so lange in seinen Kopf mit ihnen, verwebt und filtriert sie, bis sie als spöttisch-liebevolle, gerne auch völlig überdrehte Version ihrer selbst wieder auf dem Papier landen.

Für den Leser bedeutet das zuallererst einmal eine Menge Lesevergnügen. Aber Focks Erzählungen enden nicht einfach in Unterhaltung. Zum einen sind die Geschichten meist feine Satiren über das deutsche Spießertum. Und zum anderen sind sie nicht selten auch Anklagen. Es ist kein Wunder, dass Fock im Nachwort den großen Oskar Maria Graf als „seinen Heimatdichter beschreibt“. Jenen Graf, der als einer der klügsten Kritiker der Kleinbürgerlichkeit gilt, der mit den Anarchisten um Erich Mühsam und der Schwabinger Bohème in Kontakt stand. Und es ist auch kein Zufall, dass er den größten Spießer in seinem Buch, Kurt Kiesewetter, ausgerechnet mit einem Tucholsky-Zitat vorführen lässt. Es ist also durchaus eine gewisse Tradition, in der sich Fock sieht – keinesfalls zu Unrecht.

In „Dackelbussard oder Vogelschiss für Anfänger“ verwebt der Autor die Fürstenfeldbrucker Straßennamendebatte mit dem Gaulandschen „Vogelschiss“-Zitat. Denn eben eine solche Ausscheidung auf einem Straßenschild ist es, die Herrn W., dazu veranlasst, sich noch einmal an die Debatte zu erinnern. Etwa an die teils unreflektierte Beschönigung einiger Stadträte in „Oberrichtbach“ – Fock verwendet für seine Schauplätze stets Kunstnamen, aber es ist selten schwer zu erraten, was das Vorbild ist – nachdem beschlossen wurde, die braunen Namen zu behalten, dafür aber Infotafeln anzubringen. „Die Stadt sei zum Vorreiter geworden. Ein Vorbild an Aufklärung. Der größte Feind sei die Gleichgültigkeit“, heißt es im Buch.

Aber es ist nur ein Teil der 13 Geschichten, der an so konkreten Ereignissen aufgehängt ist. Meist sind es Phänomene, von denen Fock erzählt, entlang eines Charakters mit einer ausgeprägten „Tugend“. Etwa wenn der 92-jährige Jens Friedrich R. im Text „Warnung!“ mit seinem Cabrio minutenlang durch die Kreisverkehre des Landkreises kreiselt und den Verkehr lahmlegt, um so seinen Unmut gegen deren Sinnlosigkeit Luft zu machen. Oder wenn bereits genannter Kurt Kiesewetter, ehemaliger Gymnasiallehrer, in die „Der Lärmfinder“ die Abteilung für Emission- und Lärmschutz im Landratsamt auf Trab hält, weil er in der Nacht ein mysteriöses Brummen hört.

Dessen Charakter fasst Fock mit einem Satz zusammen: Weder einen Stehausschank noch ein Laufhaus hatte er je von innen gesehen“. Dafür besitzt er ein absolutes Gehör. „Ein guter Bekannter, Geiger, Staatsorchester – Sie verstehen, ja – hat mir das bestätigt“. Mit wenigen Sätzen schafft es Fock, eine Figur zu zeichnen, die einem zwar grundunsympathisch ist und mit der man nicht zu tun haben will (genau wie die Sachbearbeiter, die darum streiten, wer nun seinen Antrag bearbeiten muss), den man dann in seiner Schrulligkeit irgendwie aber auch wieder mögen muss, wahrscheinlich auch, weil jeder einen Typen wie Kiesewetter und die anderen Fockschen Charaktere kennt.

„Heimatkreiseln“ von Manfred Fock, Fangorn Verlag 2020, 150 Seiten, 9,80 Euro

© SZ vom 19.09.2020

 

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